Wie kommen Menschen mit Behinderungen, die in einem stationären Angebot leben, durch die Corona-Pandemie? Was stört sie, was verstört sie und wie arrangieren sie sich mit den Einschränkungen? Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember geben die Hauseltern Franziska (59) und  Andreas (53) Schade aus der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth des SOS-Kinderdorf e.V. einen Einblick in das Leben mit Menschen mit Behinderungen während der Pandemie. Die examinierten Krankenpfleger*innen leben als Hauseltern in der Dorfgemeinschaft in Unterfranken mit Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung unter einem Dach. Eine SOS-Dorfgemeinschaft besteht aus mehreren Hausgemeinschaften, in denen die Bewohner*innen zusammen mit ihren Hauseltern leben und von ihnen im Alltag unterstützt und betreut werden. Die Bewohner*innen arbeiten vor Ort in Werkstätten oder im landwirtschaftlichen Betrieb der Einrichtung.

Wie hat die Pandemie das Leben der Bewohner*innen der Dorfgemeinschaft beeinflusst? 

Anfangs war es für sie sehr surreal – zum Beispiel die Situation im Supermarkt. Wenn ich von den Masken, den Warteschlangen und den leergekauften Regalen erzählt habe, waren sie geradezu entsetzt. Erst nach und nach haben sie dann die Einschränkungen und Veränderungen auch am eigenen Leib gespürt: geänderte Besuchsregeln, abgesagte Freizeiten und Veranstaltungen in der Dorfgemeinschaft – das waren und sind schwere und verstörende Einschnitte im eingeübten Alltag; hier brechen wichtige Ressourcen für sie einfach weg. Vor allem natürlich der Kontakt zur Familie. Denn die Angehörigen der Bewohner*innen dürfen die Hausgemeinschaften nicht betreten und auch der Besuch daheim ist eingeschränkt.

Was bedeuten die geänderten Besuchsregeln für die Bewohner*innen?

Wer darf und kann zu seinen Eltern oder Angehörigen, wohin darf man, wie lange darf man bleiben – das sind die Themen, die unsere Bewohner*innen gerade am meisten bewegen. Es war für sie zu Anfang sehr schwer, ihre Familien und Freunde zuhause nicht besuchen zu dürfen. Mittlerweile ist das unter Auflagen und von Fall zu Fall wieder erlaubt, aber es herrscht eben eine große und belastende Unsicherheit. Das Thema ist emotional inzwischen sehr aufgeladen; man hat das Gefühl, wenn nicht   “nach Hause“ gefahren werden kann, bricht jetzt eine Welt zusammen. 

Und die Besuche bei uns im Haus und in der Einrichtung fehlen sehr. Vor der Pandemie haben alle Bewohner*innen vom Besuch eines Einzelnen profitiert, denn es haben sich einfach alle riesig über Besuch gefreut. Diese Kraftquelle fehlt gerade ersatzlos. 

Was bedeutet Corona innerhalb der Hausgemeinschaft? 

Die Bewohner tun sich vor allem schwer, sich nicht ausgegrenzt zu fühlen, wenn sie einmal mehr Abstand zu den anderen halten müssen. Eine Bewohnerin zum Beispiel, die an Demenz erkrankt ist, war für kurze Zeit im Krankenhaus und musste anschließend Abstand bei Tisch halten und deshalb am Tischende mit einer Betreuerin sitzen. Damit ging es ihr sehr schlecht. Da haben wir uns von der Schreinerei im Dorf eine Plexiglasvorrichtung bauen lassen, die wir auf ihren Platz gestellt haben. Von da an hatten wir alle einen großen Spaß damit. Es wurde als Postschalter, Ticketschalter, Kiosk und Aquarium bezeichnet. Und auch unsere Bewohnerin hinter der Scheibe lachte viel mit. Alle waren zufrieden. Man muss eben flexibel und kreativ mit der Situation umgehen.

Wie könnte man die Situation der Bewohner*innen in der derzeitigen Lage weiter verbessern?

Sie wünschen sich, dass sie wieder ihre Kurse wie Musik und Sport unter Einhaltung der Hygieneregeln besuchen können. Und natürlich würden sie gerne mal wieder in ein Café oder zum Essen gehen, aber wir müssen uns eben alle einschränken – ob Menschen mit oder ohne Behinderung. 

Eines würde allerdings wirklich sehr helfen: wir wünschen uns im Fernsehen mehr Nachrichtensendungen in leichter Sprache, damit Menschen mit Behinderungen die Situation besser vermittelt wird und sie das Ganze besser verstehen. Es wäre toll, wenn es mehr Nachrichtensendungen, oder auch Dokumentationen oder sonstige lehrreiche Sendungen, in leichter Sprache und mit entsprechend langsamem Bildmaterial gäbe. Vielleicht kann die momentane Situation ein Anlass sein, so etwas zu etablieren. 

Auch Michaela (25) berichtet zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen von ihrem Alltag und ihren Eindrücken während der Pandemie.  Michaela lebt in der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth mit ihren Hauseltern und anderen Bewohner*innen mit kognitiver Einschränkung in einer Hausgemeinschaft. Sie arbeitet in der Bäckerei und Konditorei der Dorfgemeinschaft.   

Wie empfinden Sie die Einschränkungen durch die Pandemie?

Ich fühle mich schon eingeschränkt. Vor allem würden wir Bewohner gerne öfter unsere Familien besuchen, was momentan leider kaum möglich ist. Gerne würden einige von uns auch mal ein Café in der Stadt besuchen oder am Sonntag in die Kirche gehen. Auch das Einkaufen fehlt sehr ebenso wie der Besuch des Fitnessstudios. Auch der Besuch der Eltern am Grab muss nun leider ausgesetzt werden sowie wie der Besuch von Partnern, die nicht in unserer Dorfgemeinschaft leben. Und unser geliebter Adventsbasar im Dorf wird nicht stattfinden – viele Bewohner sind sehr traurig, dass die in den Werkstätten übers Jahr gefertigten Produkten nicht verkauft werden können. Uns werden die Musik, das leckere Essen, sowie der Besuch unserer Verwandten in dieser weihnachtlichen Umgebung sehr fehlen.

Wie halten Sie Kontakt zu Ihrer Familie?

Viele halten Kontakt über Briefe. Besonders jetzt, wo es auf Weihnachten zugeht, verschicken wir viel Weihnachtspost. Auch telefonieren wir viel oder machen eine Videobotschaft. SMS schicken wir auch regelmäßig an unsere Familien. Wir sind froh, Dienste wie WhatsApp nutzen zu können. 

Was wünschen Sie sich für den weiteren Verlauf?

Vor allem wünschen wir Bewohner uns, dass es in unseren Häusern für uns Weihnachtsfeiern mit Besuch geben kann!

Hide picture